DIE ZUKUNFT IST BESSER ALS IHR RUF oder: Meine Held*innen des Alltags
Ich ging als Kind fünf Jahre lang in die Lernwerkstatt Herzogenburg (heute Lernwerkstatt im Wasserschloss) – eine Schule, die mir viel Freiheit gab meinen Interessen nachzugehen und meine Talente zu entfalten. – Teresa Distelberger
Dieser Artikel erschien im Schulmagazin „freigeist“ im April 2017.
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Schon als Kind fragte ich mich immer wieder, wie man wohl die Welt verändern könnte. Es schien ja ganz offensichtlich ganz schön viel schiefzulaufen und ich kam nie ganz dahinter, warum die großen Leute das nicht so richtig auf die Reihe kriegten mit der Weltrettung. Dabei war für mich damals so viel noch klar und logisch. Warum konnten wir nicht einfach alles ein bisschen anders machen? Je älter ich wurde, umso kleinlauter wurde ich in meinem kindlichen Glauben, dass die Probleme der Welt doch ganz einfach lösbar sein müssten. Je mehr ich lernte, je weiter ich reiste, je tiefer ich mich einließ auf die schönsten und schwierigsten Realitäten, umso komplexer wurde mein Bild der unzähligen irgendwie zusammenhängenden Schieflagen auf diesem Planeten. Angesichts all dieser Krisendetails wurde mir klar: Da braucht es echt richtig viele Menschen mit richtig vielen innovativen Ideen und richtig viel Mut und Kraft, um da richtig sinnvoll ansetzen zu können. Mit einer starken Person an der Spitze, die einfach Kommandos austeilt, wäre das nicht möglich. Die Weisheit der Vielen ist gefragter denn je. Alle sind gebraucht. Alle können was beitragen. Und wir alle können nur für uns selbst herausfinden, wie das aussieht.
Ich beobachtete jedoch auch, dass es da scheinbar eine Schwelle gab zwischen dem Wissen und dem Tun. Ich sah immer wieder, wie ich selbst und viele rundherum in einem Vakuum lebten zwischen unseren „eigentlichen“ Werten und dem, wie wir es (nicht) schafften, nach ihnen zu leben. Gleichzeitig bewunderte ich jene, die ihren Alltag ganz unspektakulär und wie nebenbei von ihren Idealen durchdringen ließen. Sie waren und sind meine heimlichen HeldInnen.
Vor einigen Jahren begann ich intensiver im kollektiven Dokumentarfilmprojekt DIE ZUKUNFT IST BESSER ALS IHR RUF der Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion als Co-Regisseurin und Koordinatorin mitzuarbeiten. Wir wollten einen Film über solch inspirierende Menschen machen, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise gesellschaftlich engagieren. Wir wollten die Kraft der Zivilgesellschaft mit ganz konkreten Gesichtern portraitieren – Menschen wie Du und ich.
Als ich mich in wiederholten Recherchephasen auf die Suche nach potentiellen ProtagonistInnen machte, zeichnete sich ein Muster ab: Am meisten faszinierten mich Menschen, bei denen ich irgendwie das Gefühl hatte, dass sie mit dem, was sie da tun, für sich an „ihrem richtigen Platz“ angekommen waren. Das heißt gar nicht, dass sie stehengeblieben wären oder sich nicht mehr weiter entwickelten. Sie strahlten einfach aus, dass es für sie gerade total stimmig war, genau das zu tun, was sie tun und dass sie es nicht aus Aufopferung machten, sondern aus einem ganz ureigenen Antrieb heraus, mit all der dazu gehörigen Anstrengung – und Freude.
In meinen Kontemplationen über dieses „am eigenen Platz ankommen“ kam mir meine Zeit in der Lernwerkstatt wieder in den Sinn. Eigentlich hatten wir als Kinder ständig die Gelegenheit, genau das zu üben. In jedem Augenblick konnten wir uns fragen: Was interessiert mich gerade? Was will ich lernen? Was mag ich spielen, bauen, gestalten und mich daran erfreuen, was ich alles kann? Was könnte ich heute erfinden? Und: Mit wem gemeinsam macht das noch mehr Spaß? Früher dachte ich immer wieder daran, dass eigentlich auch die Erwachsenen so eine Lernwerkstatt bräuchten. Einen Ort, wo sie sich daran erinnern, was sie wirklich gerne tun und was ihnen grad wirklich wichtig ist. Im Grunde ist dieser Ort immer da. Wenn ich gut drauf bin, finde ich ihn in mir, im Lauschen. Oder im Zusammensein im Freundeskreis, mit ArbeitskollegInnen und ProjektpartnerInnen. Dazu braucht es gar kein großes Haus. Es ist eher eine gemeinsame Kultur, uns gegenseitig in unseren Potentialen zu sehen und daran zu erinnern, wo wir eigentlich grad hineinwachsen wollen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass die eigenen Fähigkeiten für andere wichtig sind, dass man wirklich gebraucht wird. Da, wo unser Selbstausdruck zusammenkommt mit dem, was die Welt gerade braucht, da liegt unser Schatz begraben. Was wir zu geben haben, kann ganz unterschiedlich sein. Manchmal ist es Wissen, das man teilt – wie viele Menschen, die in ihrer Freizeit Wikipedia-Artikel schreiben. Manchmal ist es ein ganz konkretes Anpacken – wie viele Freiwillige, die von Nickelsdorf bis Lesbos für Menschen auf der Flucht aktiv sind. Und manchmal ist es einfach die Fähigkeit, sich wirklich hineinversetzen zu können, wenn jemand gerade in einer schlimmen Situation steckt – so wie Andrea Roschek, die aus ihrer eigenen Erfahrung mit Armut heraus die Pannonische Tafel gegründet hat, wo die allermeiste ehrenamtliche Arbeit von Betroffenen selbst gemacht wird.
Der Entstehungsprozess des Films DIE ZUKUNFT IST BESSER ALS IHR RUF und die Begegnung all der Menschen, die da portraitiert wurden, war in den letzten Jahren mein Lernort. Ich habe im Schneideraum gemeinsam mit unserem Dramaturgen Wolfgang Widerhofer viele viele Stunden mit den ProtagonistInnen und ihren Geschichten verbracht und habe dabei ganz viel gelernt über die unzähligen Perspektiven, die wir alle einnehmen als Teil eines viel größeren Transformationsprozesses. Während Andrea in Supermärkten die Lebensmittel einsammelt, die sonst weggeschmissen werden, und sie umverteilt, hat Judith Schachinger gemeinsam mit FreundInnen und KleinbäuerInnen aus ihrer Region ein Bestellsystem mit Webshop und Abholstellen aufgebaut, sodass von den Lebensmitteln gar nichts mehr verschwendet wird. Die Eine macht das Beste aus den Resten eines eigentlich kranken Versorgungssystems, die Andere bewahrt alte lebenswichtige Strukturen (der regionalen kleingliedrigen Landwirtschaft) vor dem Aussterben und baut neue Vertriebsnetze auf, um diese längerfristig zu erhalten.
Durch Judith habe ich außerdem gelernt, wie sich ein authentisch gelebtes Vorbild auswirken kann. Ich hatte schon lange kein gutes Gefühl dabei, mein Gemüse im Supermarkt zu kaufen. Es war zwar Bio, aber ganz oft fühlte es sich eigentlich nicht lebendig an. Je öfter ich beim Drehen und Schneiden Judith zuhörte, umso unerträglicher wurden meine Einkäufe im Supermarkt. Eines Tages hielt ich diese oben beschriebene Spannung – zwischen dem Wissen und dem Tun – in mir nicht mehr länger aus. Die Interviews mit Judith waren mein Anstoß, endlich Mitglied in einer solidarischen Landwirtschaft zu werden und nun immer regionales Biogemüse zu genießen.
Auch die Arbeit der Architektin Anna Heringer ist ein tolles Beispiel, wie kleine alltägliche Entscheidungen große Auswirkungen auf die Struktur unseres Wirtschaftssystems haben können. Anna baut mit Lehm und anderen Naturmaterialien beeindruckende Gebäude von Österreich bis Tansania, China und Bangladesh. Das Baumaterial kommt oft direkt aus der Baugrube, wird direkt vor Ort in die Wände gestampft – und wenn so ein Haus eines Tages nicht mehr gebraucht wird, kann es auch wieder in die Erde zurück gehen. Solche Lösungen kommen uns heute inmitten der omnipräsenten Beton-Stahl-Architektur innovativ vor – dabei geht es auch hier darum, das zu bewahren, was immer noch Sinn macht. Milliarden von Menschen leben heute noch in Lehmhäusern, was in vielen Ländern als „rückständig“ angesehen wird und wodurch der internationale Verbrauch des energie- und CO2-intensiven Betons weiterhin bedenklich ansteigt. Anna schafft es, durch eine Kombination von lokalem Handwerk und „globaler Kreativität“ ihre Gebäude so attraktiv zu gestalten, dass sofort sichtbar wird, wie viel mit Lehm und anderen Naturmaterialien möglich ist. Auf der politischen Ebene wäre nun der nächste Schritt zu tun – nämlich die Besteuerung von Arbeit deutlich zu senken, sodass auch bei uns in Europa Handwerk wieder leistbar wird. Doch wie ist das möglich, politisch mitzugestalten?
Diesbezüglich war es für mich beeindruckend, während der Dreharbeiten mit Rita Trattnigg einen BürgerInnenrat mitzuerleben. Die teilnehmenden BürgerInnen waren per Zufallsgenerator aus dem Melderegister ermittelt und eingeladen worden, über die Zukunft der Bürgerbeteiligung in Salzburg zu beraten. Ich bin fest davon überzeugt, dass in dieser bunten Gruppe das gesamte politische Spektrum vertreten war – und ich war total beeindruckt, welch konstruktive Gespräche dank der Moderation von Rita möglich waren. Am Ende haben sie eine gemeinsame Erklärung verfasst, hinter der alle stehen konnten und diese dann im Landtag präsentiert. Das lag sicher auch an der innovativen Moderationsmethode der „Dynamic Facilitation“ – doch im Grunde ist ein Schlüssel dabei eine ganz einfache Sache: dass wir uns gegenseitig wirklich zuhören.
Von Walter Ötsch hab ich wohl in diesem Schnittprozess im stundenlangen Zuhören seiner Vorlesungen über Kulturgeschichte und Ökonomie am meisten gelernt. Er sagt im Film etwas, das ich auch in Bezug auf politische Veränderungen ganz wesentlich finde: Es waren immer kleine Bewegungen, aus denen sich auf einmal kulturelle Wellen entwickelt haben. „Die Aufklärung, das waren ein paar spinnerte Philosophen – und auf einmal entsteht eine Demokratie. Dass es eine Demokratie gibt, könnte man geschichtlich als Wunder beschreiben.“ Walter erinnert daran, dass es kein Entwicklungsgesetz in der Geschichte gibt. „Niemand kann sagen, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Die Zukunft ist offen, wir müssen sie machen.“ Das hört sich ganz schön groß an.
Genau deshalb ist im Ausgleich dazu meine Lieblingsszene im Film ein einfacher Ausflug ins Kaffeehaus. Doch über diese lustige Szene mit dem Schriftsteller und Heimhelfer Andreas Renoldner und der ganz wunderbar schlagfertigen Frau Hofer, die sich mit Genuss von ihm bedienen lässt, mag ich hier nicht mehr verraten. Vielleicht kommt ihr nach dem Film so wie ich zur Ansicht, dass es manchmal auf ganz einfache kleine Dinge ankommt, auf Momente, die uns nähren und schmunzeln lassen, während wir so unterwegs sind mit dem, was uns (und vielleicht auch für die Welt) wirklich wichtig ist.
DIE ZUKUNFT IST BESSER ALS IHR RUF
Ein Film von Teresa Distelberger, Niko Mayr, Gabi Schweiger, Nicole Scherg
A, 2017, 85 Minuten
Der Film „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ portraitiert sechs Menschen, die etwas bewegen. Sie engagieren sich für eine lebendige politische Kultur, für nachhaltige Lösungen bei Essen und Bauen, für Klarheit im Denken über Wirtschaft, für soziale Gerechtigkeit.
Überall hören wir von Krisen, Medien schüren Verunsicherung. Wie reagieren wir darauf? Augen zu, Ohren zu? Oder lieber Ärmel aufkrempeln und was tun?
„Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ macht Mut: Sechs Beispiele erzählen von der Möglichkeit, den Lauf der Dinge doch selbst mitzugestalten.
Ab 12. Mai 2017 österreichweit im Kino!
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